Warum BIM im Gebäudebetrieb kaum eine Rolle spielt –
Unsere Gedanken zu BIM, seinen Möglichkeiten und Grenzen

Über den Autor:

Alexander Feil widmet sich zusammen mit seinem Bruder Philipp beruflich der Digitalisierung von Bestandsimmobilien. Ob mit PropOps.com, einem Cloud-Betriebssystem für das Property und Asset Management, dem Flottenmanagement für die Dienstleistungsrobotik FieldBots.de, oder der internationalen Digitalagentur für die Dienstleister-Digitalisierung FFUF.de.

 

BIM möchte sämtliche Bestandteile eines Gebäudes mit allen Attributen in Echtzeit darstellen und auf diese Weise den Lebenszyklus eines Gebäudes als „lebendiges Modell“ begleiten. Gebäudeeigner und potenzielle Investoren versprechen sich davon Kosteneinsparungen durch Synergieeffekte und eine Verbesserung der Transparenz. Aber trotzdem sehen nur sehr wenige Stakeholder BIM als zukunftsfähige Planungsmethode. Woran liegt das? Was auf den ersten Blick so progressiv daherkommt, birgt bei näherer Betrachtung unüberschaubare Risiken. Wir wollen Ihnen daher im folgenden Text einen alternativen Plan vorstellen, der einfach umzusetzen ist und ohne ausufernde Investitionen das Potenzial hat, Ineffizienzen zum Beispiel im Objektmanagement zu identifizieren und zu beheben.

Vermeintliche Vorteile

Jeder Stakeholder kann dank BIM zu jeder Zeit an jedem Ort über einheitliche Schnittstellen auf einen synchronen Datenpool zugreifen und auf diese Weise planen, ausführen oder dokumentieren. Darüber hinaus lassen sich die Auswirkungen seiner Entscheidungen sofort ableiten. Machen etwa gesetzliche Vorgaben den Einbau eines zusätzlichen Fluchtweges notwendig und stört dabei ein Kabelschacht, so lassen sich sofort Alternativen finden und z. B. geänderte Materialbedarfe ableiten.

Die Vision des digitalen Zwillings

In nicht allzu ferner Zukunft könnte eine Gewerbeimmobilie auf diese Weise als digitaler Zwilling ihre eigene Online-Repräsentanz erhalten, die vollkommen unabhängig vom realen Objekt in der Lage wäre, dank KI Entscheidungen zu treffen, Strategien zu entwickeln und Probleme zu lösen. Auf diese Weise können sogar ganze Stadtteile oder Städte digital vernetzt werden. Informationen würden in Echtzeit zur Verfügung stehen und Transaktionskosten signifikant sinken. Es lässt sich heute nur erahnen, welches Potenzial diese Vernetzung bietet. Die Technologie dafür stünde dank dem Internet of Things (IOT) zur Verfügung und müsste lediglich konsequent implementiert werden. Aber gerade diese Implementierung kommt einfach nicht voran.

Reale Nachteile

Dem noch nicht gehobenen Potenzial von BIM stehen erhebliche Nachteile gegenüber. Bei BIM handelt es sich um ein Modell – und das an sich ist bereits problematisch. Wie alle Modelle abstrahiert BIM von der Realität verliert dabei zwangsläufig Informationen. Was bei der Planung durchaus gewünscht sein kann, könnte sich ein paar Jahre später, wenn alte Daten im Detail benötigt werden, als Problem herausstellen.

Darüber hinaus besteht bei BIM wie bei anderen Digitalisierungsansätzen das grundlegende Problem, dass durch das Erschaffen eines digitalen Abbildes auf der einen Seite wesentliche Produkteigenschaften verloren gehen, und auf der anderen Seite die Potenziale der Digitalisierung als Technologie nur unvollständig abgeschöpft werden. Das folgende Beispiel soll das verdeutlichen: Ein PDF als „Papierersatz” hat sich für viele Anwendungen als Status quo durchgesetzt, denn es ist leichter zu vervielfältigen und verursacht fast keine Herstellungskosten und trotzdem ist das papierlose Büro noch immer eine Utopie, denn PDFs fehlen wesentliche Papiereigenschaften. Man kann sie nicht anfassen oder darin blättern. Auf der anderen Seite schränkt ein PDF möglichen Nutzen von vornherein ein, da es nicht viel mehr, als ein simples digitales Abbild der Realität ist. Digitalisierung kann aber viel mehr als nur abbilden! Für Gewerbeimmobilien bedeutet das, dass solange unklar ist, welchen konkreten Mehrwert ein digitaler Zwilling jenseits eines anschaulichen Modells bietet, höchst fraglich ist, ob ein massiver Einsatz von Ressourcen zu diesem Zeitpunkt sinnvoll ist, um der Gewerbeimmobilie ein BIM-Upgrade zu verpassen.

Das Problem liegt im Bestand

Eine Herausforderung anderer Art bildet der über viele Jahre gewachsene Immobilienbestand und seine mitgewachsene digitale Infrastruktur. Es benötigt wenig Fantasie, sich vorzustellen, dass eine Vereinheitlichung aller Schnittstellen und Standardisierung von Daten- und Informationsflüssen in Vorbereitung auf eine BIM-Implementierung einen großen Aufwand erfordert und die sowieso schon immer kleiner werdenden Renditen zusätzlich belastet. Der zu erwartende Nutzen durch BIM stünde in keinem vertretbaren Verhältnis zu den Kosten, denn mit vernetzter Hard- und Software allein ist es noch lange nicht getan. Bei allen Stakeholdern müssten Prozesse angepasst werden. Es müssten völlig neue Abteilungen geschaffen werden, um den organisatorischen Mehrbedarf abzufangen. Darüber hinaus ist heute noch völlig unklar, ob der zu erwartende Mehrwert am tatsächlichen Bedarf der zukünftigen Stakeholder vorbeigeht. Wir wissen heute schlicht noch nicht, welche Informationen wir in 20 Jahren benötigen werden und auf welche Weise wir diese kommunizieren oder dokumentieren werden.

Was heißt das für den Gewerbeimmobilienmarkt in Deutschland?

Deutsche Gewerbeimmobilien haben zwischen 2010 und 2020 zehn Jahre Boomzeit hinter sich gebracht. Doch die Zeichen mehren sich, dass diese Zeiten vorbei sein könnten. Ein ständig wachsender Regulationsdruck durch Richtlinien wie die im März dieses Jahres in Kraft getretene EU-Richtlinie für Umwelt, Soziales und Governance (ESG) und nicht zuletzt die seit mehr als einem Jahr grassierende Viruspandemie lassen die Renditen schrumpfen und den Spielraum für Margen spürbar kleiner werden. Die Immobilienbranche ist auf der Suche nach Lösungen, um auf den gestiegenen Wettbewerbsdruck zu reagieren.

BIM möchte einen solchen Lösungsansatz darstellen. Es hat das Potenzial, als Top-Down-Ansatz aufgrund gestiegener Transparenz für Anpassungsdruck bei allen Stakeholdern zu sorgen und hilft auf diese Weise außerdem, institutionalisiertes Misstrauen abzubauen. Es liefert als einheitliches Datenaustauschformat einen unbestreitbaren Mehrwert. Betreiber von Immobilien können ihrer Betreiberverantwortung besser gerecht werden und ihre Dienstleister effizienter führen. Darüber hinaus kann ein Investment in BIM die Gewerbeimmobilie insgesamt aufwerten und für potenzielle Käufer im Sinne eines ESG-Business Cases attraktiver machen, denn BIM-Gebäude funktionieren effizienter und nachhaltiger und schonen auf diese Weise Ressourcen.

Der Preis für diese schlecht quantifizierbaren Einsparungen wäre jedoch immens. Das Investitionsvolumen in Hard- und Software, Manpower, Schulungen und Anpassungen der Prozesse wäre gewaltig! Darüber hinaus stellt sich die Frage: Warum sollen Gewerbeimmobilien mit allen ihren Attributen miteinander vernetzt werden, wenn heute noch nicht einmal die alltäglichen Prozesse digital darstellbar sind? Es ist an der Zeit, sich einzugestehen: Ob BIM die heute bestehende digitale Infrastruktur in Gewerbeimmobilien ablösen wird, ist völlig unklar. Daher drängt sich die Frage auf, was zu tun ist, bis BIM jenseits einiger Leuchtturmprojekte in der großen Masse des Gewerbeimmobilien-Bestandes angekommen sein wird. Warum nicht die Zeit nutzen, um eine leicht zu implementierende digitale Agenda jenseits von BIM in Angriff zu nehmen, statt wertvolle Zeit mit dem Warten auf eine „BIM-Revolution“ zu vergeuden? In diesem Sinne sollen die folgenden fünf Punkte eine Anregung dazu geben, vorhandene digitale Potenziale im Sinne eines pragmatischen Bottom-up-Ansatzes zu heben.

1. Daten-Aggregation

Daten bilden die Grundlage einer jeden Entscheidung. Transparente Informationen führen zu effizienten Entscheidungen. Doch bevor Daten ausgewertet werden können, müssen sie erst einmal erhoben werden. Das bedeutet, dass jeder Prozess, jedes Dokument und jede Entscheidung konsequent und revisionssicher digital abgebildet werden muss. Das Gleiche gilt für Daten von Gebäudedienstleistern. Jeder Dienstleister muss zwingend über sein CAFM-System angeschlossen werden, oder das des Immobilienbetreibers nutzen. Sind diese Schnittstellen nicht vorhanden, so ist die Implementierung vertraglich festzuschreiben. Natürlich ist das mit Aufwand verbunden. Die konsequente Datenerhebung ist jedoch notwendig, um die Digitalisierung erfolgreich voranzutreiben.

2. Daten-Homogenisierung

Daten-Aggregation kann zu fragmentierten oder redundanten Datenbeständen führen. Ziel einer Homogenisierung ist es daher, den Datenbestand soweit wie möglich zu vereinheitlichen und an Mindeststandards anzupassen. Als absolute Mindestanforderung sollte dabei die folgende Zuordnung gelten:

  • Objektinformationen
  • Anlagen- und Raum-Verzeichnisse
  • Leistungskataloge
  • Auftragsdaten
  • Wartungs- und Prüfberichte, Bilderdokumentationen

Darüber hinaus sollte ab diesem Zeitpunkt eine konsistente Datenhistorie im Blick behalten werden.

3. Passive Daten-Nutzung

Nun kann damit begonnen werden, die so erarbeiteten Potenziale auszuschöpfen. Ein auf diese Weise erschaffener Datenpool schafft allein durch seine Existenz Transparenz und führt ohne weiteres Modellieren zum Sinken von Informations- und Transaktionskosten. Dies wirkt sich sofort positiv auf die Rendite aus, weil im Property oder technischen Asset Management mit gleicher Mannschaftsstärke mehr Dienstleistungsvolumen betreut werden kann. Darüber hinaus bildet Transparenz die Grundlage, um der Verantwortung der Immobilienbetreiber besser gerecht zu werden. Themen wie „Corporate Governance” werden an Bedeutung gewinnen. Dienstleister lassen sich auf diese Weise besser führen. Entscheidungen können besser legitimiert und leichter nachvollzogen werden, wenn sie auf einem gemeinsamen und von jeder Partei einsehbaren Datenpool beruhen. Kleine Dienstleister bekommen dank CAFM-Anbindung die Möglichkeit, ihre Ressourcen besser einzusetzen, da klarer wird, was genau von ihnen erwartet wird. Aber auch für größere Dienstleister bieten sich sicherlich Ansatzpunkte, um durch Nachjustierung die Qualität in ihren Prozessen zu erhöhen. In dieser Phase kommt zusätzlich zum Nutzen der Daten-Aggregation der steigende Nutzen durch sequenzielle Anpassung der Prozesse an die einheitliche Datenlage. Darüber hinaus kann nun damit begonnen werden, simple und repetitive Prozesse an Algorithmen auszulagern. Eine Möglichkeit dafür wäre die Nachkontrolle der Prüfberichte oder die Ermittlung der Erfüllung des Wartungs- und Prüfplans. Die dadurch frei gewordene Kapazität erhöht die Produktivität zusätzlich und ermöglicht es dem Personal dadurch, sich auf die Prozesse jenseits der Dokumentation zu konzentrieren, die vielleicht bisher zu kurz gekommen sind.

4. Aktive Daten-Nutzung

Hat sich der homogene Datenpool bei allen Stakeholdern etabliert, kann man dazu übergehen, diesen Pool aktiv zu füllen und die Qualität der Daten graduell zu erhöhen. Auch bei Wechsel des Dienstleisters müssen die Daten durch den neuen Dienstleister kontinuierlich weiter erhoben werden. Die Pflege des Datenbestandes bleibt weiterhin prioritär! Hierfür sollten Prozesse spätestens ab jetzt so modelliert werden, dass sie zu einer guten Datenqualität führen. Darüber hinaus kann man nun damit beginnen, aktiv Entscheidungen aufgrund des geschaffenen Datenbestandes zu treffen. Denkbar sind zum Beispiel Abwägungen über Capex- oder Opex-Strategien, die Anwendung von Bonus-Malus-Mechanismen und internationales Site- und Cluster-Management. Ankermieter lassen sich aufgrund gestiegener Datenqualität ebenfalls besser betreuen.

5. Datenbasierter Betrieb

Da Daten nun umfassend und konsistent zur Verfügung stehen, kann man diese Daten als Grundlage für Entscheidungen im Sinne einer Business Intelligence (BI) nutzen.
Darüber hinaus ist es nun möglich, durch ein Portfolio- oder Dienstleister-Benchmarking und Orientierung an Best-Practises, mögliche Schwachstellen im eigenen Gebäudebetrieb zu identifizieren. Die Qualität der Daten kann weiter verbessert werden, in dem man gezielt Sensorik oder Robotik für bestimmte Gebiete anwendet.

Auf die Revolution warten – oder die Evolution starten?

Die zunehmende Digitalisierung hat einen unbestreitbaren Einfluss auf das Management von Gewerbeimmobilien. Ein immer stärkerer Kosten- und Dokumentationsdruck macht es notwendig, die dort schlummernden Potenziale zu heben. Wer diesbezüglich jedoch auf die Implementierung von BIM setzt, mag nicht nur enttäuscht werden, sondern darüber hinaus wertvolle Zeit verlieren, die notwendig ist, seine Gewerbeimmobilien fit für die Zukunft zu machen. Der vorgestellte Fünf-Punkte-Plan gibt Entscheidern ein Instrumentarium an die Hand, das praxisnah einsetzbar und leicht an die momentan in Betrieb befindliche digitale Infrastruktur anpassbar ist. Frei nach dem Motto: „Bämm statt BIM!“ lassen sich auf diese Weise pragmatisch digitale Potenziale identifizieren und verhältnismäßig einfach implementieren.

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